*1927 „Vom Kinderhaus ins Lazarett…“
September 1939
Als der Krieg ausbrach, war ich 12 Jahre, 2 Jahre später war die Konfirmation, dann zwei Jahre Luftwaffenhelfer, da hatte sich die Schule schon von mir verabschiedet, sie hatte dann nämlich geschlossen, und zwei Jahre später war ich schon Schwerkriegsbeschädigter.
Vom Kinderheim ins Lazarett, das will ich jetzt erzählen:
Meine Eltern sagten: “Der Junge ist so schrecklich dünn, damit er dicker wird, schicken wir ihn ins Kinderheim nach Norderney. Einer von meiner Klasse war dort im Hotel, er schaute zu, wie ich mit den Kindern im Sand spielen musste. Ich habe mich geärgert und geschämt. Das ganze Kinderheim war so übel, dass ich mir gesagt habe, wenn ich mal eigene Kinder habe, nie schicke ich sie dorthin! Ich war aber nur vier Wochen dort, denn dann brach der Krieg aus – wie ich damals dachte – zu meinem Glück, und die ganze Insel Norderney wurde geräumt wie alle Inseln an der Küste, d.h. die ganze Grenze bis runter nach Weil am Rhein.
Ich war froh, dass Schluss war mit dem Kinderheim. Wir bekamen ein Schild um den Hals gehängt mit Namen und Adresse und dann ging’s mit dem Schiff bis zum Festland.
Dann ging der ganze Transport mit dem Zug bis ins Ruhrgebiet, in meinem Fall bis Hamm. Meine Eltern wohnten eigentlich in Bielefeld, aber in diesen Tagen waren sie nicht zu Hause.
Zu der Zeit gab’s ja noch alles und deshalb waren meine Eltern im Sauerland in der Sommerfrische, sie wollten davon profitieren, dass ich im Kinderheim war.
Aber jetzt wollten alle nach Hause, weil man ja gar nicht wusste, was noch kommen würde.
1939 war ich also 13 und nach den Ferien ging alles weiter, man siegte und siegte und war in großer Euphorie. Ich ging ganz normal zur Schule, 1942 wurde ich konfimiert, und ein Jahr später, nämlich 1943, marschierte die ganze Klasse als Luftwaffenhelfer los, jetzt brauchten sie uns, weil die Männer an der Front waren. Unsere Kanone war eine 2cm Flak Oerlikon aus der Schweiz, eine Waffe, die überhaupt nicht weit genug schoss, um die Flugzeuge der Luftangriffe auf das Ruhrgebiet zu stören, geschweige denn zu treffen.
Luftwaffenhelfer war eine dolle Zeit. Das fing so an: Wir mussten vor der Schule antreten, bekamen unseren Persilkarton mit der oft viel zu großen Uniform, mit Bindfaden war der zugebunden. Man hatte auch ein Gewehr für den Posten als Wache.
Unser Lateinlehrer war ein alter Mann, er marschierte vorneweg. Er hieß Hermann Weber und daraus machten wir Armin Textor, er sagte: Non scholae, sed vitae discimus. Und so war’s für uns auch. Die Flakstellung war oberhalb von einer wichtigen Bahnbrücke bei Bergkamen (Dortmund), wo die Kohlen aus dem Ruhrgebiet kamen.
Wir wohnten in Baracken; unser Lehrer Hermann Weber hatte eine eigene Hütte (Quod licet Iovi, non licet bovi), da wurde auch der Unterricht gemacht, der gab dort Unterricht in Deutsch und Latein. Englisch war nicht nötig, wir wollten den Krieg ja gewinnen, und dann gab es noch ein bisschen Geschichte aus dem 1.Weltkrieg.
Der Unterricht wurde ständig durch Fliegeralarm unterbrochen. Dann mussten wir schnell an das Geschütz. Wir wussten ja, aus welcher Richtung die Angreifer kommen konnten. Trotzdem haben wir eigentlich nie getroffen. ABER: „Dulce et decorum est pro patria mori.“
Meine, beziehungsweise unsere einzige Heldentat war, dass wir einmal bei einer Schießübung den Schleppsack getroffen haben, aber da war ich nicht allein und dann war auch schon die Übung zu Ende, weil der Schleppsack ja weg war.
Wir haben nie ein Flugzeug abgeschossen, da meine Batterie mit der 2-cm-Flak konnte nur 3000m hoch ging.
Sie können sich gar nicht vorstellen, wie die Unteroffiziere die Luftwaffenhelfer schleifen konnten. Unser Unteroffizier Franz war von zu Hause aus Arbeiter am Hochofen, er hat uns übel behandelt. Wenn bei der Kontrolle in der Baracke etwas nicht ganz in Ordnung war, also wenn eine Unterhose nicht ganz akkurat auf der anderen lag, warf er alles auf den Boden und schrie fürchterlich. Einmal mussten wir abends antreten und den „deutschen Gruß“ machen und sollten eigentlich stramm vorbeilaufen, wir waren aber so fertig und müde, und das sah gar nicht zackig aus. Er ging rückwärts und trat dabei in ein Mauseloch, das war ja auf einem ungepflügten Feld. Er fiel der Länge nach in den Dreck und wir lachten natürlich, es platzte richtig aus uns raus. Er kam langsam hoch und war ganz rot vor Wut, er pfiff und schrie: „Im Laufschritt marsch,marsch!“ Er ließ uns ewig laufen, bis wir in den Seilen hingen. Da war uns das Lachen vergangen.Und auch hier passt ein lateinischer Satz: Homo homini lupo est = der Mensch ist dem Mensch ein Wolf.
Mein lustigstes Kriegserlebnis hatte ich auch mit diesem Unteroffizier Franz.
Hinter unseren Baracken waren ja die Latrinen mit Donnerbalken und so, irgendwann waren die voll. Also musste man weiter weg ein neues Loch graben und die Hütte mit den Balken versetzen. Unteroffizier Franz wollte uns zeigen, wie leicht das ging, als wir stöhnten, er schob mit voller Kraft, da fiel die Hütte um und er landete mit einem Fuß in der Sch******. Da kann man sich vorstellen, wie die 15-jährigen Helfer lachten.
Mit den Schleifern wurde es manchmal sogar so schlimm, dass unser Lateinlehrer für uns Partei ergriff und sagte: „Per aspera ad astra!“
Die Sterne waren aber noch weit.
Da ist man manchmal froh, wenn ein Unglück passiert.
Mai 1944 wurde ich verletzt, ich habe mein eigenes Kanonenrohr auf den Kopf gekriegt.Weil ich keinen Helm auf hatte, bekam ich einen Riesenanschiss von unserem Offizier, aber da war ich schon im Lazarett.
Damit war der Krieg für mich beendet.
Ich kam ins Lazarett nach Münster und dann nach Hause. Da war nichts kaputt, aber meine Tante Else war mit ihrem Sohn Kurt gekommen, weil sie ausgebombt waren. Der saß dann auch noch bei uns rum. Mein Vater war zu Hause, weil er in einem kriegswichtigen Betrieb beschäftigt war und dann kam noch eine Familie aus dem Sudetenland.
Ich war kriegsuntauglich und mit … Jahren schon zu 50% behindert, deshalb war mein erstes Gehalt eine Rente.
Im darauf folgenden Mai kam das Kriegsende und im Juni habe ich schon mit meiner Lehre angefangen,
später habe ich mit der Ingenieurschule begonnen und 1949 war ich schon fertig.