Das Fest der Schweine
Vier Schweinegeschichten habe ich in meiner Erinnerung: Eine aus dem kriegsgebeutelten Europa (Deutschland ca.1920), zwei aus der Neuen Welt, dem verarmten Kuba, und eine vierte aus dem Indien der achtziger Jahre, als dieses Land das Traumland der Esoteriker aus aller Welt war. Armut und Mangel hat das gleiche Gesicht, ob schwarz, braun oder weiß.Deshalb gibt es viele Sprichwörter mit dem gleichen Sinn in verschiedenen Sprachen: Wie gewonnen so zerronnen, das war die erste Geschichte:
„lo que el agua trae el agua se lleva“ (was das Wasser bringt, nimmt es auch wieder mit)
„Wie gewonnen so zerronnen“
Die zweite Geschichte ist „Das Schwein in der Hängematte“, der Leser kann sich das passende Sprichwort selbst aussuchen. Passt „den Weg allen Fleisches gehen“, oder „wenn zwei sich streiten……….
Vielleicht sagen wir auch „easy come, easy go“, wohl weniger denn da hatte man gerade den Krieg gegen ‚England verloren…..
Mit der dritten Geschichte reisen wir wieder nach Kuba, die Überschrift ist ein sehr bekannter Satz aus einem amerikanischen Film, der den Namen einer nordafrikanischen Großstadt als Titel hat.
„Schau mir in die Augen“
Nummer vier stammt geographisch aus einer kleinen Stadt in Nordindien, zeitlich aus meiner „schönsten Zeit“, den achtziger Jahren und heißt
„Die Schweine feiern“
In den achtziger Jahren gab es in alternativen Kreisen eine Liebhaberei, die hieß, möglichst weit mit möglichst wenig Geld monate- oder gar jahrelang zu reisen.. Mein damaliger Partner reiste mit sehr wenig Geld mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Istanbul nach Delhi. Sein Gepäck war ein Rucksack und eine Isomatte, damit ging es über den Khaiberpass. Ich war zu Hause geblieben, ich konnte so lange keinen Urlaub nehmen, denn ich brauchte Geld für ein anständiges Bett und alles, was so dazu gehört. Im Urlaub habe ich ihn besucht, mit dem Flugzeug, was damals noch sündhaft teuer war, aber ich hatte mir ja das Geld mit viel Herzblut erarbeitet.
Es war klar und einfach, Frauen passen sich an, es gab von mir keine Widerrede, auch ich streckte meine müden Knochen auf dem Betonboden eines billigen Hotels aus, das Kopfkissen war der Rucksack, und eine Isomatte isoliert so gut, wie der Name sagt. Es war die dritte oder vierte Nacht für mich zum ersten mal im außereuropäischen Ausland. Wir waren volksnah eingebettet in das Tun und Treiben dieser mir so fremden Gesellschaft. Mein Partner fühlte sich wie der berühmte Fisch im Wasser, ich kam mir eher vor wie in einem schmutzigen Käfig. Es war gerade die Zeit des Holi-Festes, ein höchst turbulentes Frühjahrsfest. Für mich war das so ungewöhnlich, so erschreckend, wie in Deutschland die Fasnacht wohl für manche ausländischen Gäste sein dürfte….(https://de.wikipedia.org/wiki/Holi).
In Indien gab es keinen Alkohol, trotzdem waren die menschen laut und wild, man bewarf sich mit rotem Farbpulver und kreischte auf, wenn es einen traf.
Es war laut in dieser Stadt, 24 Stunden sehr laut. Es war Remmidemmi überall, dazwischen Schmutz und Tiere. Vor dem Eingang zu unserem Hotel ging ein schnaubender Stier auf und ab, über die Schwelle huschten die Mäuse. ich fiel von einem Schreck in den nächsten….
Weit nach Mitternacht kam ich endlich innerlich ein wenig zur Ruhe und schlief total übermüdet ein. Da fing es an zu tagen und auf der Straße fing ein unglaubliches schrilles Schreien an. Es erinnerte mich an die Tage in meiner Kindheit, als ich bei unserer Hausgehilfin auf dem Bauernhof hören musste, wie die Schweine kurz vor dem Tod aufschrieen.
Entsetzt weckte ich meinen Partner mit der Frage:“Was machen die mit den armen Schweinen?“ Er grunzte nur und drehte sich unwillig weg. Ich stellte die Frage zum zweiten Mal, er antwortete:
„Reg dich nicht auf, die Schweine, die feiern!“
„Die Schweine, die feiern“, wurde für uns zur stehenden Redensart, einmal stand sie für die völlige Falschinterpretation einer Situation, zum anderen beschreibt sie, wie sich die Europäer das Dritte-Welt Elend schön geguckt haben und es weiterhin tun.
Auf dieser Reise gab es natürlich auch sehr viel Schönes zu sehen; man muss aufpassen, dass man nicht nur die schreienden Schweine hört.
- „Schau mir in die Augen“
- Wahrnehmung von S.Sommer