Das Schwein in der Hängematte

Meine Mutter war während des Ersten Weltkrieges ein Kind. Wenn wir gemütlich zusammensaßen in den alten fernsehlosen Zeiten, begann meine Mutter zu erzählen. Das konnte sie wirklich gut, und wenn man sie zu einem oder gar zwei Gläschen Kognak überredete, dann wurden die Geschichten sehr lustig. Hauptperson ihrer Erlebniserzählungen war ihr Vater, mein Großvater, der Patriarch der Familie, der Kaiser-Wilhelm-Verschnitt, der männliche Kämpfer für Ordnung und Werte, gegen Hunger und Not.

So auch nach dem verlorenen Krieg, als alles rationiert war, und der Schreinermeister gucken musste, wie er seine drei Buben, seine Tochter und auch seine Frau Luise satt machen konnte. Verbotenerweise hatte er sich von seiner ländlichen Verwandtschaft ein Ferkel besorgt, das lebte heimlich in einem Holzverhau in der Schreinerwerkstatt. Als Streu diente der Holzabfall und wenn das nicht reichte, musste einer der Söhne beim Bauern einen kleinen Ballen Stroh holen. Meine Mutter gab dem Schwein den Namen Yolanda. Hier hatte sich in ihrer Erinnerung eine Zeitverschiebung breit gemacht, denn der Name wurde erst im Dritten Reich zu einem Schweinenamen, und zwar nach dem beliebten Film „Krach um Jolanthe“.  In der Dämmerung wurde das Schwein täglich in den kleinen Stadtgarten am Haus geführt. Einer der Söhne hatte diese Aufgabe, während die beiden anderen die Werkstatt sauber machen mussten. Hedwig musste aufpassen. Alles geschah unter höchster Geheimhaltung, denn die Schweinehaltung  war verboten, es herrschte eine strikte Rationierung der Lebensmittel. Wenn nun das Schwein quiekte, dann schrien die Kinder laut dazwischen, denn keiner der Nachbarn  sollte etwas merken.

Fritz, Willi und Richard und s’Hedwigle hatten immer dumme Ideen im Kopf, gebändigt wurden sie nur von der Angst vor dem Vater. Dieser machte sonntags seinen Mittagsschlaf und der war im heilig.

Wer hat nicht alles die sonntägliche Stille um die Mittagszeit besungen, wörtlich und im übertragenen Sinne?Die drei Kinder sitzen auf einem Bretterstapel und hüten das Schwein. Sie unterhielten sich über dies und das, sie wussten, in einer Stunde war es mit der Ruhe vorbei, da ging es zum Spaziergang und der war immer groß, denn ihr Vater hatte immer etwas zu erledigen in einem der nahegelegenen Dörfer.


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Den Kindern war es langweilig, Richard schaukelte sanft in der aufgehängten Hängematte, Fritz musste ihn anstoßen, Willi, der Jüngste, musste warten. Für Hedwig gab es wie immer nur die Rolle der Zuschauerin, sie musste traditionell verzichten, von Gleichberechtigung war noch keine Rede. Yolanda graste friedlich neben der Hängematte

Da kam Hedwig eine geniale Idee: „Wie wär’s, wenn wir Yolanda in die Hängematte legen würden? Das ist bestimmt lustig, wir schaukeln sie richtig durch…“ Hier galt es schnell zu sein, blitzkriegmäßig das Schwein zu packen, den Überraschungseffekt auszunutzen und es, bevor es reagieren konnte, umzudrehen und in die Hängematte zu werfen. Gesagt, getan. Vater August und Mutter Luise waren vergessen, die Nachbarn auch. Fritz packte das Schwein am Hals, Willi an den Vorder- und Richard an den Hinterfüßen.

Yolanda schrie auf, die Kinder mit, sie ließen die fette Sau in die Matte fallen. Doch Yolanda wollte keinen Mittagsschlaf halten, sie wehrte sich mit ihren vier Klauen und die ganze Installation verwandelte sich in einen lebendigen Rollbraten. Mutter rannte herbei, gerufen vom verzweifelten Schreien des Weihnachtsbraten, Vater August auch, die Nachbarn auch. Vorbei war die Sonntagsruhe, vorbei die Geheimniskrämerei.

Die Nachbarschaft konnte von einer Anzeige abgehalten werden, weil man ihr einen Hinterschinken versprach. Die Hängematte musste zerschnitten werden.

Das Vergnügen war teuer: eine Hängematte, ein Hinterschinken und eine Tracht  Prügel für die Buben und für Hedwig eine ernste Ermahnung, denn sie schaute ihren Vater unschuldsvoll treuherzig an.

Manchmal war die mangelnde Emanzipation doch von Vorteil.

 

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5 Gedanken zu “Das Schwein in der Hängematte

  1. Stefan Sommer

    Schwein oder nicht Schwein? Das ist hier die Frage.
    Wenn die Schweine plötzlich hinken,
    dann fehlt wohl ein Hinterschinken.

    Eine wirklich höchst amüsant geschriebene Geschichte.

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