Wie gewonnen, so zerronnen
1993 zu den schlimmsten Hungerzeiten der Spezialperiode, war ich für einige Wochen in Kuba. Es gab nichts, nichts, nichts ….auf dem legalen Markt. Trotzdem versuchte der Staat das normale Leben aufrecht zu erhalten, er nahm das Fehlen jeglicher Ware einfach nicht zur Kenntnis. Die Familie, bei der ich illegalerweise wohnte, wollte meine Anwesenheit ausnutzen, um die Tochter auf dem Land zu besuchen. Sie musste wie alle „Intellektuellen“ die großen Ferien zur Hälfte im Ernteeinsatz verbringen. (Das galt für Schüler der Secundaria genauso wie für Universitätsangestellte oder Assistenten) Dort wurden die jungen Leute auf den Tabakfeldern eingesetzt, denn das Tabak Pflücken ist eine langwierige Sache, die Ernte zieht sich über Wochen hin, weil man immer nur die oberen reifen Blätter abknipst. Die Eltern wussten genau, dass ihre Kinder kaum etwas zu essen bekamen, sie wollten ihrer Juanita einen kleinen Essensvorrat bringen und baten mich, die Fahrt dorthin zu bezahlen.
Es war sehr schwierig ein Auto zu besorgen, Benzin gab es eigentlich nur auf dem Schwarzmarkt zu einem Preis, der für einen Durchschnittskubaner unerschwinglich war. Es lief alles über Beziehungen und Netzwerke, von denen ich nicht die geringste Ahnung hatte, von denen ich nichts wissen durfte, denn ich selber war ja auch nicht so recht legal. Mich hat das natürlich sehr interessiert, denn:
- Hätte ich mit dieser Fahrt einen sehr tiefen Einblick in die sozialistische Lebensweise, und das nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Lagers und
- ich würde so ein wenig Landleben auf Kuba sehen, was sehr schwierig war, weil mit dem Verlust des sowjetischen Helfers und Unterstützers auch der öffentliche Verkehr sich in nichts aufgelöst hatte.
Die Familie fand also ein Auto mit Fahrer oder anders gesagt einen Fahrer mit Auto. Das war ein junger Arzt namens Roberto, das Auto gehörte seinen Eltern. Seine Mutter hatte es als Dozentin bekommen, denn die Autos wurden vom sozialistischen Staat nach Verdienst verteilt. Sie sagten immer: Das (Auto oder später Fahrrad hat mir Fidel geschenkt). Doch das Benzin fehlte. Aber auch das wurde aufgetrieben, nach ein paar Tagen, kam ein Mann mit einem großen Kanister und ließ sich das teuer bezahlen (von mir natürlich in Devisen). Die Mutter hat sich um Essen gekümmert, was auch nicht einfach war, irgendwann kam sie mit einem lebenden Huhn, das ängstlich aus der Tasche schaute, und das mit Recht, denn ihm wurde kurz darauf der Kopf abgehackt. Gebrüht, gerupft und ausgenommen, dann zerteilt und gebraten in dem von der anderen Nachbarin spendierten halben Tässchen Öl, gelöst war auch dieses Problem. Also konnte es losgehen, aber auch das war nicht ganz so einfach, am Stadtausgang von Havanna stand ja immer Polizei, die musste man geschickt umfahren. Das habe ich erst später erfahren, damals habe ich es nicht einmal gemerkt.
Gelernt habe ich auf jeden Fall das eine: es gibt immer eine Lösung!
Wir fuhren gemächlich in dem uralten Lada über leere Straßen in das Tabakgebiet. Ab und zu begegnete uns ein Fuhrwerk, Esel oder Maultier, einmal sogar ein Pferd. ‚Auf dem Randstreifen wurde der Reis getrocknet, manchmal sahen wir einen Bauern, der ihn verteilte oder neu aufschüttete. Von Vinales aus ging es auf einer ungeteerten Staße in die Pampa.
Dort kamen wir in das Arbeitslager der jungen Leute, es war trostlos. Viele waren krank vom schlechten Wasser, andere hatten Allergien von den Tabakblättern, sie lebten auf, als sie die Besucher sahen, das waren aber wenige, weil es wegen des Boykott der USA kaum Benzin im Land gab. Ich verstand wenig, weil ich nicht so gut Spanisch sprach, ich wunderte mich nur, als unser Fahrer – ein junger Arzt – laute Gespräche mit ein paar Leuten führte. Ich hatte den Eindruck hier wird etwas ausgehandelt. So war es auch, zurück in Vinales gegen Abend auf der Heimfahrt trafen wir wieder diese Bauern, sie schleppten einen zugebundenen Sack an, in dem ein Tier sichtbar strampelte. Da hatte unser Fahrer also die zwanzig Dollar, die ich ihm für die Fahrt gab schon in etwas Fleischiges für die hungrigen Großstadtmenschen investiert. Er band den Sack auf und zeigte uns ein nervöses, quiekendes Ferkel, das strampelte und sich mit allen Kräften wehrte. Er wollte es wieder in den Sack stopfen und in den Kofferraum werfen, da schrie mein Herz auf: NO, que no! So ein süßes Tierchen kann man doch nicht…. aber das werden wir schon noch sehen.
Ich bezahlte, ich durfte bestimmen und ich entschloss mich, das süße Ferkelchen auf den Schoß zu nehmen. Also saß ich auf dem Rücksitz im Lada mit Schwein auf dem Schoß. Dieses diabolische Tier wollte aber nichts von meiner Fürsorge und Aufmerksamkeit wissen, es kämpfte weiter. Es wollte nicht in die Hauptstadt, es wollte einfach weiter am Straßenrand oder in seinem dunklen Koben bleiben. Es war kein schnuckeliges Glücksferkelchen, es war ein pissendes stinkendes Tier, das zubiss und sich wand und drehte. Meine Mitfahrer lachten und ließen mich kämpfen. Ich gab bald meinen Kampf auf, ich hatte verloren. Roberto hielt an und befreite mich, packte das Schwein und warf es in den Kofferraum. Nach ein paar Kilometern gab das Schweinchen das verzweifelte Schreien auf, ich nahm an, es schlief vom Geschaukel beruhigt ein. Roberto nahm es mit nach Hause, wo es gemästet werden sollte, was man sich bei dem Nahrungsmittelmangel, der damals in ganz Havanna herrschte, nicht so richtig vorstellen konnte. Roberto war glücklich, er und seine Familie freuten sich schon auf das gegrillte Schwein, sie wollten es in einer Erdmulde im Garten rösten und uns alle dazu einladen. Die Vorfreude dauerte nicht lange, genau genommen nur ein paar Tage. Roberto bekam von einem Kratzer, den er im Schweinekampf erlitten hatte, eine Wundinfektion und wäre fast daran gestorben. Es gab wegen des Boykotts der Amerikaner kaum Antibiotika in der Stadt. Er musste auf dem Schwarzmarkt das Ferkel gegen eine Packung Penicillin eintauschen.
Zurück blieb nur eine Narbe am Finger.
- Besuch bei der Patentante
- Das Schwein in der Hängematte
Ja….so kann`s gehn 😉
An die Zeit erinnere mich auch noch. Ich hatte einen Tanz- und Trommelkurs von hier aus ohne Telefon und Fax ( das war mit dem Klassenfeind unmöglich) in Havanna organisiert. Am schwierigsten war die Verpflegungslage. Für uns Touristen wurde irgendwas irgendwie aufgetrieben, no problem. Aber die armen Cubaner. Trotz der so schwierigen Situation fand ich die Freude und Lebendigkeit der Bevölkerung am beeindruckensten. Einmal wurde spontan ein kleines Fest auf einer Straßenkreuzung organisiert. Wir tanzten Salsa den ganzen Nachmittag. Zum Schluss kreierte die Band den song: wenn der Bus nicht kommt, gehen wir eben zu Fuß. Alle hatten Spaß.
Mein Ausflug nach Vinales endete mit einer Strumpfhose als Keilriemen, und das letzte bisschen Trinkwasser kam in den Kühler. Unsere Gebete wurden erhört. Wir schafften es zurück bis Havanna . Ache!
Und gut, dass diese Zeiten vorbei sind!!!
So etwa habe ich mir die Improvisation der Menschen in der Mangelwirtschaft vorgestellt. Die Menschen in Kuba waren trotzdem vermutlich glücklicher als viele Menschen in Südamerika, bei denen der CIA Demokratien abservierte.
Wenn ich Kuba höre dann gehen meine Gedanken nach Nordkorea. Ach wie frei ist – war schon immer ? – Kuba im Vergleich zu dort. Und wie wird es wohl weitergehen? Raul Castro soll gesagt haben: „Wenn der Papst so weitermacht, dann ist das eine große Versuchung, katholisch zu werden“. Schwein gehabt!
Wer hat Schwein gehabt? Die Kubaner? Raul oder gar Fidel? Oder der Herr aus Rom? Die Kommentare haben mich sehr beflügelt, demnächst kommt das Schwein in der Badewanne.
Gracias…..