Im Penny-Markt
Tja, wie ging es Frau M.? Sie hatte jahrelang als Puztfrau gearbeitet. Ihre diversen Arbeitgeber waren alle zufrieden mit ihr, denn sie hatte immer perfekt gearbeitet. Kein Stäubchen, kein Krümelchen wurde von ihr übersehen. Das war ihr ganzer Stolz.
Sie hatte auch Makula-Degeneration aufgrund ihres Alters. Frau M. hatte nicht so viel Geld. Deshalb machte sie ihren kleinen Haushalt immer noch selbst. Wohl war ihr nicht dabei, manchmal spürte sie mit den Fingerspitzen kleine Erhebungen auf der Tischplatte oder auf einer anderen glatten Oberfläche. Da schoss ihr ein Pfeil ins Putzfrauenherz: das ist nicht sauber. Ganz langsam hatte sie sich aber daran gewöhnt. Was blieb ihr auch anderes übrig?
Da sie ihren Haushalt noch selbst besorgte, ging sie noch einkaufen, sie musste allein gehen, weil sie sich keine Hilfe leisten konnte. Die kleinen Tante-Emma-Läden gab es nicht mehr, deshalb musste sie zu dem großen Onkel, und da war der nächste, den sie sicher erreichen konnte, der Penny-Markt. Für sie war das eine Expedition ins Ungewisse, das reinste „Abenteuer Leben“. Immer wieder musste sie Dinge suchen, es war das permanente Osterfest. Natürlich waren die Grundnahrungsmittel immer an der gleichen Stelle; den Weg zur Milch fand sie wie im Schlaf, d.h. halbblind, wie sie nunmal war. Wollte sie aber auch – so wie alle anderen – irgendein Schnäppchen, von dem sie erfahren hatte, oder irgendetwas besonderes aus der Feinschmeckerecke, dann hatte sie schon vor der Suche verloren.
Sie könnte natürlich fragen, das war ihr aber unangenehm. Sie wollte nicht riskieren, dass man sie am Arm packte und zur entsprechenden Theke führte, sie mit einem mitleidigen: „Omma, kann ich Ihnen helfen?“ , stehen ließ, so dass sie vor der Vielfalt der bunten Gläschen und Päckchen wieder genauso verschwommen hilflos war wie vorher.
Da stand sie nun und schaute lang und konzentriert ins Regal, ging mit dem Kopf immer näher ran, die Lupe rauszuziehen wagte sie nicht. Sie hatte ja Zeit, viel Zeit zum Buchstabieren, zum Enträtseln.
Frau M. hatte sich ihr Leben lang angepasst. Nie hatte sie etwas Unkonventionelles oder gar Unerlaubtes gemacht, nein nie, nicht einmal gedacht. Hätte sich ein frecher Gedanke in ihren Kopf eingeschlichen, sie hätte diesen Dämon sofort mit einem Vaterunser vertrieben. Sie fasste einen Entschluss, sie packte das erste Glas links von der nebelhaften Mitte und ein Päckchen aus dem grauen Loch. Sie schickte ein Stoßgebet nach oben: „Lieber Gott, lass es bitte nicht so teuer sein!“ und ging beherzt zur Kasse. Der da oben hatte Mitleid mit ihr, er ließ alles gut ausgehen und führte sie auch noch nach Hause.
Glücklich betrachtete sie mit der Lupe ihren Einkauf, sie hatte richtig Glück gehabt: in dem Glas war ein Jus (Feinschmecker-Bratensaft) für den Osterbraten und im Päckchen waren die leckeren Kekse, die sie so gern mochte.
- Das „Second Life“ der Frau Edeltraud B.
- Cooking for Oldies