Das „Second Life“ der Frau Edeltraud B.

Nun begann das „Second Life“ für Frau Oberstudienrätin Edeltraud B., jetzt hatte sich alles umgedreht:

Die Frage, wer ist eingeschlossen, wer ist ausgeschlossen, stellte sich plötzlich ganz anders.

An der Schule gab es die Schülermitverwaltung, die Schulkonferenz, den Vertreter der Schüler bei den verschiedensten Verwaltungsformen des Alltags. Was gibt es in der Seniorenresidenz?????

Da gibt es

einen Heimleiter

Pflegedienstleiter

Sozialarbeiter

Verwaltungsangestellte (wenig)

eine Menge Pfleger und Pflegerinnen

und einige Hilfskräfte

und eine Haustechnik, vor Zeiten war das der Hausmeister.

Und sehr viele Bewohner- und Bewohnerinnen:

Alle alt, viele krank, manche noch ganz fit, manche etwas vergesslich, manche sehr vergesslich.

Hier musste sie sich einordnen, hier musste sie sich anpassen. Es war ihr furchtbar peinlich, wenn sie jemanden bitten musste. Deshalb versuchte sie alles noch selber machen:

so zum Beispiel das Ausfüllen der Überweisungsformulare. Mit der linken Hand hielt sie die Lupe mit der rechten kritzelkratzelte sie zittrig die Zahlen in die Kästchen. Jedes Mal wurde sie ärgerlich, wenn sie über den Rand geriet.

Wollte sie den Beipackzettel ihrer Medikamente lesen, dann musste sie die Lupe zu Hilfe nehmen. Die normale Leselupe reichte bald nicht mehr aus.

Am meisten ärgerte sie sich über diese IBAN, das waren zwei Stolpersteine: einmal das Lesen und dann das Eintragen. Dabei wollten die doch was von ihr, nämlich Geld. Sie erinnerte sich an die heißen Kämpfe der Atomkraftgegner in den 70er, 80er Jahren. Zwar hatte sie sich damals nicht engagiert, sie fand das alles zu revoluzzer-haft, zu proletarisch, keineswegs comme il faut (wie es sich gehört). Aber eine Aufforderung fand sie insgeheim (klammheimlich) ganz witzig: Irgendeine Gruppe schlug vor, die Überweisungsformulare mit klitzekleinen Fehlern auszufüllen, eine Zahl falsch, ein Buchstabe, ein Geburtsdatum unrichtig. Sie fand das irgendwie witzig, denn auch sie hatte in ihrer klein-kleinen bürgerlichen Seele ein Gramm Aufruhr. Sie hat es natürlich nie gemacht. Aber jetzt packte sie wieder die Lust, es juckte ihr in den Fingern.

Aber auch dieses Mal blieb sie brav, schließlich war sie schon fast 80.

Sie konnte sich ja so ein wunderschönes, hilfreiches, ultramodernes,  Lesegerät leisten….

Aber wie geht es den anderen?

LUPE 2

 

 

 

 

Tja, wie ging es Frau M.? Sie hatte jahrelang als Puztfrau gearbeitet. Ihre diversen Arbeitgeber waren alle zufrieden mit ihr, denn sie hatte immer perfekt gearbeitet. Kein Stäubchen, kein Krümelchen wurde von ihr übersehen. Das war ihr ganzer Stolz.

Sie hatte auch Makula-Degeneration aufgrund ihres Alters. Frau M. hatte nicht so viel Geld. Deshalb machte sie ihren kleinen Haushalt immer noch selbst. Wohl war ihr nicht dabei, manchmal spürte sie mit den Fingerspitzen kleine Erhebungen auf der Tischplatte oder auf einer anderen glatten Oberfläche. Da schoss ihr ein Pfeil ins Putzfrauenherz: das ist nicht sauber. Ganz langsam hatte sie sich aber daran gewöhnt. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Dann geht es weiter mit Fortsetzung 2

 

Einige Gedanken zu “Das „Second Life“ der Frau Edeltraud B.

  1. Pingback: 17. März | Lebenslinien

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert