Menschenwürde im Altersheim

Der Besuch im Altersheim

Die Zeitschrift Für Sie hatte im März 2013 ein Feature von der Zeitgeist-Philosophin Rebekka Reinhard. Man findet diesen Artikel heute noch im Internet und zwar unter der Adresse

http://www.freundin.de/gewissensfrage-mit-anstand-durch-den-alltag-129846.html

Eingebettet zwischen Reklame für Fußcreme und Rundum -Sorglospaket zur Lebensversicherung, zwischen kleinem Computerspiel für zwischendurch und Abnehmen mit Erfolg gibt uns die Verfasserin gute Ratschläge zu allen Lebenslagen von

A … WIE ANMACHEN (einen Mann angraben, um sich einen Vorteil zu verschaffen)bis „Z … WIE ZURECHTWEISEN (z. B. Leute, die sich vor unseren Augen danebenbenehmen)“

Und bevor es heißt: „Hier geht es zum Shop“ finden wir auch eine Empfehlung zum Umgang mit unseren Alten.

Die promovierte Philosophin und Unternehmensberaterin schreibt:

O … WIE OMA VIEL ZU SELTEN IM PFLEGEHEIM BESUCHEN (und sich deshalb schäbig fühlen)
Das schlechte Gewissen ist ein guter Indikator – wir merken da schon selbst, dass unser Verhalten nicht so astrein ist. In dieser Situation sollte man die Gründe suchen: Warum will ich nicht? Habe ich Angst vor dem Alter, den Krankheiten? Langweile ich mich? Oder bin ich vielleicht mit der Person so zerstritten, dass ich sie nicht sehen will? Kann ich diese Hindernisse wirklich nicht überwinden, nicht mal kurz? Wenn Sie ein guter Mensch sein wollen, denken Sie daran: Auch eine alte Person hat eine Menschenwürde, sie möchte wahrgenommen werden. Und mit einem Besuch zeigen Sie ihr, dass Sie sie respektieren.“  Man mag es kaum glauben, das ist wortwörtlich zitiert.

Jeden Satz kann man sich  auf der Zunge zergehen lassen.  Da ist die dümmliche rhetorische Frage:

„Habe ich Angst vor dem Alter, den Krankheiten“ Die Antwort ist schlicht und einfach: „Natürlich doch!“  Ja Angst haben wir alle, so wie man vor Unangenehmem einfach Angst hat. Die tief sitzende Angst vor Krankheit ist für viele Menschen eine Lebensbegleitung, wird sie noch heute  in den magischen Riten vieler Völker gebannt. Gehört da nicht der Wunderglaube an die Madonna von Lourdes oder Fatima dazu?  Man möchte die lebensbedrohliche Krankheit  nicht bei dem eigenen Angehörigen manifest sehen. Dazu gehört auch das Alter, es ist trivial in der Aussage, aber jedes menschliche Leben führt zum Tod, die Auferstehung ist nur der Glaube. Die eigene Mutter leiden sehen, ist sehr schwer, weil das einen auf die eigene Vergänglichkeit hinweist. In ihrer Gebrechlichkeit  spiegelt sich die eigene Krankheit, ihr Anblick schreit einem die eigene Endlichkeit ins Gesicht. Mit ihrem Sterben wird das eigene in den Fokus gerückt.

Natürlich ist der Besuch bei dem kranken Großvater nicht so lustig wie ein Kinobesuch. Stellt sich hier wirklich die Frage, langweilig oder nicht? Das ist doch sehr flach diskutiert. Es  wird stillschweigend vorausgesetzt, wir hätten das Recht auf immer währende Unterhaltung. Thematisiert man  dieses Problem auf so eine Art und Weise, demaskiert man seine Oberflächlichkeit, das ist eher einem RTL-Redakteur zu verzeihen als einer promovierten Philosophin.

Dann werden einige rhetorischen Fragen gestellt ( fünf an der Zahl) und dann kommt mit einem Taschenspielertrick die Lösung aus dem Zylinder:

„Auch eine alte Person hat eine Menschenwürde, sie möchte wahrgenommen werden…“

Da kann man nur sagen Gott und Rebekka Reinhard und der Zeitung „Für Sie“ sei Dank, wir haben hier eine neue Proklamation der Menschenrechte. Wie schön,  auch eine moderne Philosophin erinnert sich an die Errungenschaften der Französischen Revolution, und wir sind ihr zutiefst dankbar, dass sie die Menschenrechte der ach so verkannten Gruppe der vernachlässigten Alten einfordert.

Wir warten nun auf den mutigen Streiter oder die mutige Menschenrechtsaktivistin, die die Menschenrechte für das Hauspersonal in den Einrichtungen der AWO,  Diakonie und Caritas einfordert. Und was ist mit dem Pförtner und dem Koch und dem Gärtner und der Putzfrau und und und

Hat die Philosophin noch nicht gemerkt, dass die Menschenrechte schon immer unteilbar waren. Man kann sie nicht manchen Menschen geben und andere nicht. Und das schon seit Hunderten von Jahren, denn das ist eine Errungenschaft der Aufklärung.

Geben wir den Alten unser höchstpersönliches Menschenrecht, dann heißt das, wir habe es ihnen vorher nicht zugestanden und das wäre schlimm, sehr schlimm.

Jetzt sollte man den nächsten Schritt machen:

Rebekka Reinhard soll hier nicht für ihren Ausflug in die Trivialität einer Frauenzeitschrift kritisiert werden, sondern weil sie sich als Sprachrohr einer modernen Zeit sieht

Oberflächlichkeit ist ihr aufs Panier geschrieben.

 

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